Ein Wort zur Kletterbetreuung von Menschen mit Handicap- oder: „Klettern mit einem alten Freund“
In meinen über 20 Jahren als Klettertrainer habe ich schon unzählige Menschen an den Fels oder an die Plastikwand (Kletterhalle) geführt und ihnen unseren Sport näher gebracht.
Dadurch hat sich mein Blick auf die je individuellen Besonderheiten und Eigenheiten eines jeden Menschen geschärft:
- Welche körperlichen Voraussetzungen werden mitgebracht?
- Welche Motivation bringen die Leute mit an Fels?
- Wie sieht ihr mentales Mäntelchen aus?
- Wie wird mit Ängsten und Grenzen umgegangen?
- Welchen Leistungsanspruch haben sie?
- Wie sehr oder wie wenig nehmen Sie die anderen in der Gruppe wahr?
- Welche Grundfertigkeiten (aus der Kindheit) werden mitgebracht?
- usw. usw…
Was ich schon bald lernen durfte: Menschen mit Handicap bringen natürlich all diese Themen ebenfalls mit wenn sie mit uns in die Vertikale steigen. Aber es kommt bei ihnen halt noch etwas hinzu was wir schnell als „Einschränkung“ oder „Behinderung“ abtitulieren. (Auch bei diesem Punkt durfte ich von Jürgen lernen, der seine „Behinderung“ – eine Zerebralparese von Kindheit an, als einen alten Freund sehen kann, der ihn ständig herausfordert.)
Naja, was dieser „alte Freund“ (diese körperliche oder geistige Einschränkung) für uns als Klettertrainer*innen mit sich bringt, ist nicht zu unterschätzen! Wir müssen je individuell die Situation analysieren, um ein sicheres Klettern zu ermöglichen.
Einige Fragen die da auftauchen können:
- Wie kommt die Rollifahrerin überhaupt die Treppen runter in die Kletterhalle?
- Wie schaffen wir es, dass Jürgen seinen kleinen Finger der linken Hand nicht ständig einklemmt?
- Braucht es einen Kombigurt für die junge Frau mit der Einschlafkrankheit?
- Unterstützen wir mit einem Flaschenzug wenn die Beine gar keine Kraft entwickeln können?
- Wie kommunizieren wir mit Kletter*innen mit Sehbehinderung wenn es in der Halle sehr laut ist?
- Wer braucht eine Kletter*in der/die nebendran mitklettert?
- Dürfen wir einen schwachen aber bei Wandkontakt schmerzenden Fuß einfach nach hinten wegbinden?
- Wie schaffen wir es, dass der kleine junge Mann mit innerer Unruhe nicht ständig durch die Kletterhalle rennt?
- usw., usw…

Wir haben gelernt, dass es immer eine individuelle Beurteilung braucht, dass Sicherheit natürlich vorgeht und wir immer Profis gegenüber stehen: Profis, die ihren „alten Freund“ nur zu gut kennen und gemeinsam mit uns das Wagnis angehen und losklettern.
Nicht selten stehen wir dann da, schauen mit offenem Mund nach oben, staunend und ungläubig ob der Leistung die da erbracht wird und lassen uns dann nur all zu gerne anstecken, von dieser grandiosen Begeisterung dieser faszinierenden Menschen!
Stephan Straub
Handbuch zum Handicapklettern
Handbuch Handicapklettern DAV Freiburg N.E.W. -Institut Freiburg gibts auf Anfrage!